Das Lesen fiel mir von Anfang an leicht. Die Autorin hat eine Art zu schreiben, die ich als unheimlich angenehm empfinde. Ich liebe Bücher mit ausgefallenem oder anspruchsvollem Schreibstil, bei denen viel zwischen den Zeilen mitschwingt. Aber manchmal möchte ich mir den vollen Lesespaß nicht erst erarbeiten müssen, sondern mich einfach nur treiben lassen und trotzdem gut unterhalten werden. Genau das bietet Sandra Brown. Sie schreibt sehr flüssig und anschaulich und scheint dabei ein natürliches Talent für das richtige Maß an Details und Beschreibungen zu haben. Umgebung, Charaktere und Gefühle werden nicht nur umrissen, sondern sind klar und greifbar- oder wirken zumindest so. Dadurch hat mir zwar manchmal eine gewisse Würze gefehlt, aber das Kopfkino läuft praktisch von alleine mit. Der Stil ist Schema F auf hohem Niveau und hat mich zwar nicht völlig mitgerissen, aber auf alle Fälle kurzweilig durch die Geschichte geführt. Bei den Charakteren hat gerade Barrie sich Seite für Seite meine Sympathien erarbeitet, obwohl es für uns beide anfangs gar nicht gut ausgesehen hat. Ich ziehe eigentlich toughe Protagonistinnen vor und hatte mich auf eine rasende Reporterin gefreut, die es faustdick hinter den Ohren hat. Den langen Arm des Weißen Haus mischt sie dann auch ordentlich auf, allerdings sind das oft eher ungewollte Folgen von ausgeprägtem Blondchen/Blödchen-Verhalten. Besonders helle ist die gute Barrie nämlich nicht, dafür aber umso sturköpfiger und enorm von sich und ihrem Riecher überzeugt. Klingt nervig? War es anfangs auch. Aber als dann Gray Bondurant auf der Bildfläche auftaucht, hat das zwei ganz fantastische Vorteile. Zum einen knurrt er bedrohlich genug, um Barries herzlich naive Art gleich viel sympathischer erscheinen zu lassen und zum anderen zeigt sich gerade in seinem ironischen und selbst ernannt überlegenen Verhalten ihr gegenüber, dass Barrie genau so sein soll, wie sie ist: etwas übereifrig, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Die beiden ergänzen sich gut und wo sie mich einzeln vermutlich in den Wahnsinn getrieben hätten, da hat die Kombination überraschend gut funktioniert. Auch die Nebencharaktere passen gut ins "Ich bin ein Stereotyp und stolz darauf"-Ensemble. Sie haben gerade genügend kleinere und größere Macken, um zu unterhalten, aber nicht von Barrie und ihrer Story abzulenken. Insgesamt bieten die Charaktere also nicht all zu viel Tiefgang, aber einen passablen Unterhaltungsfaktor. Die Handlung hätte ehrlich gesagt klischeehafter gar nicht beginnen können. Da ist die naive Reporterin, die von der First Lady persönlich auf die Story ihres Lebens angesetzt wird und sich dann offenbar nicht nur einen Mann-aus-Stahl-Ex-Agenten angeln, sondern ganz nebenbei auch noch - wie könnte es anders sein - eine riesige Verschwörung aufdecken will. Aber der erste Eindruck täuscht und je mehr Mitspieler ihren Hut in den Ring werfen, desto höher wird der Einsatz und mit einem Mal fällt es nicht nur Barrie schwer, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Die Story ist plötzlich voller rasanter Wendungen, teilweise überraschend und fast immer unterhaltsam. Dabei glaubt man sich als Leser lange in der komfortablen Situation, allen in die Karten schauen zu können. Von wegen... "Blindes Vertrauen" mag kein bis ins letzte Detail durchdachter, hoch komplexer Ladythriller sein und die eine oder andere Szene hätte man auch sicher kreativer gestalten können. Aber lasst euch nicht täuschen, denn naiv ist diese Geschichte nicht. Frau Brown kann bluffen und das mit doppeltem und dreifachem Boden. Gefehlt hat mir eigentlich nur mehr Knistern und mehr Prickeln, einfach mehr zwischen Barrie und Bondurant. Sie geben kein schlechtes Pärchen ab, aber bei Sandra Brown sollten mich Szenen mit den beiden alles Andere vergessen lassen. Da sollte einfach kein Platz mehr sein für Grübeleien über die neusten Ereignisse. Fazit: Gute Unterhaltung, die mit einer sympathisch unbedarften Protagonistin und jeder Menge Bluffs punktet.
2022-11-14 13:45